Rückblende: Ein windiger, regnerischer Oktoberabend anno 2008. Unter den grellen Flutlichtern auf dem Kunstrasen am Hubland entsteht etwas. Die rund 20 Neugierigen, die sich dort versammelt haben, wissen das nicht und nur die wenigsten von ihnen werden es miterleben. Sie sind zu beschäftigt, Hartgummibälle mit „Keschern“ hin- und herzuschleudern und sich dabei nicht die Gesichter zu zertrümmern, denn Helme und Handschuhe gibt es genauso wenig wie ein fundiertes Wissen, wie dieses „Lacrosse“ eigentlich funktioniert. Einige sind dennoch fasziniert und kommen wieder. Und wieder. Und wieder. Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten Ausrüstung auftreiben, eine Abteilung bei den Freien Turnern gründen und schließlich eine E-Mail nach Erlangen schicken, die dazu führen wird, dass fast genau ein Jahr später die „SG Erlangen/Würzburg“ in der Bundesliga Süd debütiert. Doch das können die Neugierigen auf dem Kunstrasen am Hubland damals noch nicht mal ahnen…
Sprung in die Gegenwart: Lacrosse-Heimspiel in Würzburg, längst nichts Außergewöhnliches mehr, zeigte der Kalender nicht: Oktober 2018, fast 10 Jahre nach diesem denkwürdigen Herbstabend. Und hieße der Gegner nicht: Erlangen.
Längst ist die SG Geschichte, aufgelöst nach der legendären Meistersaison 2012. Beide Standorte haben sich seitdem zu Musterbeispielen der deutschen Lacrosse-Szene entwickelt. Nachhaltige Entwicklung trotz alljährlichen Abgängen, mannschaftliche und individuelle Erfolge und Jahr für Jahr heiße und hochklassige Duelle auf Augenhöhe. Hatte Würzburg in diesen anfangs noch klar die Nase vorn, wendete sich das Blatt in der jüngeren Geschichte zugunsten der Tribesmen, die in der vergangenen Saison mit der sensationellen Playoff-Teilnahme den größten Erfolg Ihrer bisherigen Vereinsgeschichte feierten. Damit nicht genug, denn mit Ihrem fast noch sensationelleren Sieg über Branchenprimus München unterstrichen sie, dass der Weg dorthin auch in dieser Saison nur über die Tribesmen führen wird.
Doch auch die Voraussetzungen beim Gastgeber konnten kaum besser sein: Ein ungefährdeter Sieg zum Saisonauftakt gegen Tübingen, eine gute und intensive Vorbereitung und ein personelles Angebot, das Coach Stolte endlich einmal die Qual der Wahl bescherte. Zwar mussten mit Lukas Friedl, Brandon Kim und Max Steinhardt gleich drei potentielle Starter ersetzt werden. Dass Coach Stolte dennoch einen Kader mit 19 Spielern aufs Feld schicken konnte, illustriert wohl am besten die aktuell mehr als komfortable Personalsituation. Dabei setzte der Coach auf eine vielversprechende Mischung aus jungen Wilden und alten Haudegen, darunter mit „Wutscho“ Butsch und den beiden Comebackern Manuel Häußler und Steffen Jakel passend zu diesem historischen Tag gleich drei Gründerväter.
Beste Voraussetzungen also für einen Lacrosse-Leckerbissen, vor Rekordkulisse auf der Beate Uhse Kampfbahn. Kaum hatten die Wuelax-Legenden ihre Plätze auf der Ehrentribüne eingenommen, entwickelte sich ein spannender Schlagabtausch zwischen beiden Teams, der die Zuschauer bis ins letzte Quarter in seinen Bann schlagen sollte.
Nach einem, dem gegenseitigem Respekt geschuldeten, nervösen Beginn mit Ballverlusten und überhastet vorgetragenen Angriffen, fanden die Gäste zuerst zu ihrer Form. Angeführt von Mittelfeldmotor und Nationalspieler Peter Wittmann, der für seine ehemaligen SG-Kollegen keine Geschenke im Gepäck hatte, gingen die Tribesmen mit 0:2 Toren in Führung. Dass es ihnen nicht gelang, diese weiter auszubauen, lag am starken Hustle der Würzburger Middies und Defender, die – nun entschlossen, ihren Gegnern den Schneid abzukaufen – dagegenhielten. Die Erlangener Offense wurde nun ein ums andere Mal gestoppt, Groundballs im Mittelfeld erobert und es entwickelte sich eine ausgeglichene Partie. Die weit stehende Defense der Tribesmen machte es uns jedoch schwer, unsererseits unsere Offense aufzuziehen. So dauerte es nach dem Anschlusstreffer von Manu Häußler bis zur Mitte des zweiten Quarters bis wir durch „Icy“ Kuhlemann zum Remis kamen.
Die Folge war eine ausgeglichene Partie, in der sich kein Team auf dem Scoreboard absetzen konnte. Unsere erste Führung wurde umgehend egalisiert, kurz darauf hatten die Tribesmen wieder die Nase vorn. Vor allem unseren beiden Facern Mikey Hofmiller und Markus Heß, die gegen ihren übermächtigen Erlangener Gegenpart einen beeindruckend guten Job machten, sorgten für Entlastung. Doch erst im dritten Quarter gelang es uns endlich, uns mit zwei Toren abzusetzen, doch damit war der Sieg längst nicht in trockenen Tüchern.
Einen um den anderen wütenden Angriff der Erlangener Offense mussten unsere Middies und Defender abwehren, stets angeführt vom unermüdlichen Peter Wittmann. Eine bessere Chancenauswertung der Gäste, das muss man fairerweise zugeben, hätte das Momentum noch einmal kippen können. Diese mussten jedoch nun ihrer geringen Kaderstärke und dem intensiven Spiel Tribut zollen und vergaben mehrere gute Möglichkeiten. Dank eines harten Kampfes, dem Glück der Tüchtigen und den lautstarken „Defense“-Chants der ekstatischen Fans gelang es uns, die Führung über die Zeit zu bringen und so hieß es nach 80 Minuten: 10:6, Rekordmeister-Besieger-Besieger!
Ein sensationelles Spiel stand in den Geschichtsbüchern, die absolute Werbung für diesen Sport und ein absoluter Big Point für uns, der im Lauf dieser Saison noch wichtig werden könnte. Und doch: Einen Andi Beck, einen Gerd Kaiser, einen Julian Neubig, einen Rob Hofmockel, einen Chris Buchholz, einen Martin-Gunther Süß und einen Moritz Schwengber stellvertretend für alle Wuelax-Alumnis an diesem Samstag auf Ihrem alten Feld zu sehen, hat vor allem eines ganz deutlich gezeigt: Angesichts dessen, was in diesen 10 Jahren seit dem regnerischen Oktoberabend alles passiert ist, werden Ergebnisse und Scoreboards immer nur Randnotizen bleiben, in einer Geschichte die so viel tiefer geht.
In diesen 10 Jahren wurden Premieren und Meisterschaften gefeiert, Abschiede betrauert und Krisensitzungen abgehalten. Ex-Wuelaxer haben Meisterschaften gewonnen, es bis in Nationalmannschaften geschafft. Es sind Freundschaften entstanden, die über alle Grenzen ein Leben lang Bestand haben werden, Magister- und Zulassungsarbeiten, genau wie ein gewisser vegetarischer Imbiss. Stand heute wurden drei Hochzeiten gefeiert, das erste Wuelax-Baby ist also nur noch eine Frage der Zeit.
All das konnten die rund 20 Neugierigen damals auf dem Kunstrasen am Hubland natürlich nicht ahnen. Diejenigen von Ihnen, die es miterleben durften sind wohl genau wie alle, die im Laufe der Jahre dazu kamen, vor allem eines:
Dankbar, ein Teil dieser Geschichte sein zu dürfen.
F…T…WHÄÄÄ!
Scoreboard:
Tore: Häußler 3, Kuhlemann 3, Pinzner 2, Klett, Wiener
Q1: 0:1, 0:2, 1:2
Q2: 2:2, 3:2, 3:3
Q3: 3:4, 4:4, 5:4, 6:4, 6:5, 7:5
Q4: 8:5, 8:6, 9:6, 10:6